Für die semana santa, die Karwoche in Kastilien gilt:

 

Zuschauen macht süchtig!

 

Wumm. Wumm. Wumm. Zunächst langsame, schwere Schritte. Dann ein Trommeln. Und wehmütige Bläserklänge, die einem Italo-Western entsprungen sein könnten. Nicht zu vergessen viele Kapuzenmänner.

 

Wie vom Ku Klux Klan, aber in schwarz.

Es ist Karfreitag, fünf Uhr früh, und in der Finsternis macht sich die Bruderschaft von Jesus von Nazareth auf ihren Weg durch die mittelalterlichen Gassen von Zamora in Kastilien-León, nahe der Grenze zu Portugal.

 

Voran schreiten einige Honoratioren, es folgt eine Musikkapelle und danach ein reich geschmückter Paso, ein tonnenschwerer Holzkasten, auf dem eine biblische Szene mit lebensgroßen Statuen nachgestellt ist. Elf solcher Pasos zeigt die Bruderschaft. Die älteste, genannt Der Todeskampf, stammt aus dem Jahr 1605, die jüngste wurde 1999 geschaffen. Bis zu 50 Träger, die Costaleros, schwitzen im Gleichschritt unter diesem Aufbau. Den Abschluss bilden dann die unzähligen, spitzhäubigen Nazarenos. Ihre Umhänge symbolisieren Büßerhemden. Fackeln tragen sie, vergoldete Stäbe und Kreuze.

Auch Kinder sind darunter. Manchmal werden Bonbons an die Zuschauer verteilt, um den Kleinsten die Angst zu nehmen und wer genau auf die Augenlöcher schaut, entdeckt dahinter durchaus Unbedrohliches. Biedere Brillengestelle etwa. Oder auch gelangeweilte Blicke.

 

So geht das in Zamora die ganze Karwoche, die Semana Santa, hindurch. Vom Palmsonntag mit nur einer Prozession steigert sich die Dosis bis zum Karfreitag auf drei, den ganzen Tag beherrschende Rundgänge. Prospekte und Webseite verzeichnen alles penibel:

Siebzehn Bruderschaften, sogenannte Hermandades und Cofradías, mit mehr als 30.000 eingetragenen Mitgliedern absolvieren 18 Rundgänge. Jede von ihnen trägt ihre eigene Farbkombination, hat ein eigenes Wappen und nimmt einen traditionell vorgegebenen Weg. Damit ist Zamora mit seinen 60.000-Einwohnern einer der kleineren Schauplätze der Oster-Umzüge. Aber ein traditionsreicher. Und zugleich Sitz des Semana Santa-Museums, das ganzjährig einen Einblick in diese exzessive spanische Art, die Karwoche im wahrsten Sinne des Wortes zu begehen, ermöglicht.

Die Karwoche als Touristenziel

 

In Südspanien stehen zur Semana Santa bereits Tribünen für die Touristen, und für die besten Foto-Plätze wird Eintritt verlangt. Das ist in Kastilien-León anders. Hier heißt es hinkommen, zuschauen und am Ende geradezu süchtig werden nach dieser Atmosphäre aus Trauer und Trubel, Schwermut und Ausgelassenheit.

Nächster Schauplatz: León. Die Provinzhauptstadt ist mehr als doppelt so groß wie Zamora und das bedeutet: 38 Prozessionen mit stets tausenden Schaulustigen. Auf den Plätzen der Stadt präsentieren sich die Bruderschaften, barfüßige Penitentes schleppen Jesus-gleich Holzkreuze mit sich, es wird Geld für wohltätige Zwecke gesammelt, und in den Kirchen sind die Pasos zwischen den Umzügen ausgestellt.

 

Und noch etwas ist unverkennbar: Fasten zählt nicht gerade zu den spanischen Osterbräuchen. In einem Lokal der bis weit nach Mitternacht quicklebendigen Altstadt lernen wir Sonia kennen. Sie studiert Germanistik in Salamanca und plant gerade ein Auslandssemester in Deutschland. Während der Osterferien aber ruft eine andere Pflicht: Da muss sie hierher nach Hause und ihre Hermandad unterstützen. Tatkräftig, und nicht nur mit ihrem jährlichen Mitgliedsbeitrag von 300 Euro.

 

Das bedeutet für Sonia drei Einsätze unter einem Paso. Zwei Stunden brauchen sie für den Weg von ihrer Vorstadtkirche zur Kathedrale. Immer im schwankenden Gleichschritt.

 

"Man kommt dabei irgendwie in Trance", erzählt die zierliche junge Frau, "aber wenigstens werde ich dort abgelöst. Dann kann ich viel Wasser trinken und den Nacken entspannen."

Auf dem ruht nämlich das Trage-Gestänge des Paso, und auch wenn Nacken und Schultern durch ein schweres Tuch geschützt würden, so seien doch zunehmende Schmerzen die stetigen Begleiter der Träger, erzählt Sonia.

 

Applaus für die Schleppenden

 

Am schwierigsten wäre der Auszug aus der Kirche: "Es ist Millimeterarbeit, durchs Tor zu kommen, außerdem müssen wir uns auf Kommando bücken, damit das Kreuz nicht oben anstößt."

Dafür applaudieren aber auch die Zuschauer draußen, wenn das Kunststück gelungen und der Gekreuzigte nicht abgestürzt ist.

In Salamanca wiederum bildet die berühmte Plaza Mayor das Zentrum des Geschehens. Über dieses riesige, barocke Geviert ziehen alle Prozessionen, woher sie auch kommen und wohin sie auch gehen mögen. Schon von weitem hört man sie näherkommen, dann macht die Polizei eine Gasse in der gedrängten Menschenmenge frei.

 

Vorausschauende Besucher der Semana Santa in Salamanca haben sich dann rechtzeitig einen Fensterplatz im ersten Stock eines Restaurants gesichert.

Schon wegen der besten Foto-Position.

 

Den Höhepunkt erreicht das Geschehen auch hier am Karfreitag. Da marschieren vom späten Nachmittag bis in den Abend hinein nacheinander vier Hermandades mit rund 20 Pasos und ebenso vielen Musikkapellen über den schönsten Platz Spaniens. Und sie nötigen die Besucher an den Fenstern zu einer besonders ausgiebigen Konsumation.

Denn wer seine erste Prozession miterlebt hat, kann mit dem Zuschauen nicht aufhören, bevor der letzte, traurige Marsch verklungen und der letzte Paso vorbeigezogen ist.

 

Und die pflichtbewussten Müllmänner gleich dahinter mit dem Aufräumen beginnen.