Ein Sonntagsausflug auf türkische Art am Bosporus macht den Weg zum Ziel:

 

Eine Kreuz- und Querfahrt, die ist lustig...

 

 

Im Print erschienen in den

Salzburger Nachrichten

 

In Istanbul keine Bosporus-Fahrt zu unternehmen, ist schwieriger als eine zu machen. Auf allen Gehsteigen der Stadt offerieren Vermittler kleine, große und „originale“ Touren bis hin zur Abendfahrt, inklusive Buffet, Musik und Bauchtanz um 80 Euro. Zum bodenständigen Vergnügen wird die interkontinentale Pendelmission ans Schwarze Meer freilich, wenn man sie um 25 Türkische Lira (ca. 9 Euro) an Bord eines Linienschiffes von „Sehir Hatlari“ unternimmt. Das war bis zur Privatisierung vor einigen Jahren die größte kommunale Schifffahrtsgesellschaft der Welt, und groß ist sie noch immer, mit all den Fähren, Linien- und Ausflugsbooten, die sie im Raum Istanbul betreibt.

 

Als Abfahrtszeit steht 10 Uhr 35 auf der Webseite, aber an diesem Sonntag scheint der 1.800-Personen-Dampfer „Kadiköy“ nahe der Galata-Brücke schon eine halbe Stunde davor zu voll, um noch alle an der Kassa Wartenden aufnehmen zu können. Die Sorge ist unberechtigt. Natürlich drängt sich alles auf den offenen Decks, während das Innere noch reichlich Platz bietet. Den Proviant muss man hier selbst mitbringen, die Bar bietet nur wenig, dazu kommen fliegende Tee- und Kaffeeverkäufer.


Erste Querung, hinüber ans asiatische Ufer, vorbei am Leanderturm, dann zurück zum Dolmabahçe-Palast mit dem „größten Ballsaal der Welt und jenem Bett, in dem Kemal Atatürk am 10.November 1938 um 9:05 Uhr verstarb“, wie der GPS-gestützte Audio-Guide vermeldet.

 

Wenig später erreicht die Fotografen-Hektik einen Höhepunkt. Hunderte Kameras, Handys und Tablets werden hochgestreckt, denn eine Sensation wie die Durchfahrt unter der mächtigen ersten Bosporus-Brücke muss heutzutage möglichst zeitnah auf den Facebook-Accounts der Welt vermeldet werden.

 

Eine erste Schätzung ergibt: Etwa die Hälfte der Reisenden besteht aus türkischen Familien in bester Ausflugslaune, unter den anderen dürfte es eine satte relative Mehrheit von Deutschsprachigen geben. Das legen zumindest die Titelseiten der eifrig studierten Reiseführer nahe.


Während sich auf der europäischen Seite des Bosphorus, wie er auf türkisch geschrieben wird, ein Ausflugslokal ans andere reiht, protzt die Skyline der asiatischen mit Sendemasten und in den Himmel ragenden, mehr oder weniger fertigen Hochbauten.


„Ich hätte dort drüben eine Wohnung bekommen. In einer Anlage mit 6.500 Einheiten, aber das war meiner Frau zu groß“, berichtet Mehmet, ein molliger Mittdreißiger, dem man anhört, dass er sein perfektes Deutsch in Berlin gelernt hat. Vor fünf Jahren ist er in die Heimat seiner Eltern zurückgekehrt, wo er jetzt in der EDV arbeitet: „Mein Vater hat mit seinem Ersparten vor zwanzig Jahren einige Grundstücke in Anatolien gekauft. Hätte er es in Istanbul gemacht, könnten wir alle davon gut leben, ohne je wieder arbeiten zu müssen.“ Denn das große Geld, erzählt Mehmet, werde hier seit Jahren mit Immobilien gemacht. Schließlich sei Wohnraum in der mit über 14 Millionen Menschen mittlerweile viertgrößten Stadt der Welt „das, wofür die Leute ihre letzte Lira ausgeben müssen.“


An Bord wird es jetzt, nach etwa einer Stunde, ruhiger. Die Ufer wirken ländlich, grün. Die „Kadiköy“ legt auf der asiatischen Seite nahe der zweiten Bosporus-Brücke im malerischen Dorf Kanlica an, doch all das gehört immer noch zum Stadtgebiet. Dann ziehen die Sommerresidenzen der ausländischen Vertretungen vorbei, welche sich diese Refugien aus einer Zeit bewahrt haben, da Istanbul noch Hauptstadt war. Und das ist auch schon bald 100 Jahre her.

 

Über einem besonders hohen, besonders bewaldeten Hügel am europäischen Ufer weht eine besonders große türkische Flagge. Dort liegt der Sommersitz der türkischen Präsidenten. Auch kein schlechter Platz.

 

Noch ein letztes Kreuzen hinüber nach Europa, dann nähert sich das Schiff Anadolu Kavagi, einem Dorf wie aus dem touristischen Bilderbuch: bunt bemalte Häuschen, Fischerboote und viele, fröhlich winkende Einheimische.


Wie? Endstation? Und wo, bitte, ist hier das Schwarze Meer? Egal, es heißt, von Bord zu gehen. Drei Stunden Aufenthalt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es in Anadolu Kavagi nur sehr wenige Häuser gibt, in denen kein Lokal untergebracht ist. In denen sind dafür Andenkenläden.

Und die fröhlich Winkenden, das waren die Kellner der Restaurants, die Kundschaft auf sich aufmerksam machen wollten.


Wir aber folgen einfach dem Ausflügler-Treck, der den Weg hinauf zur Ruine Yoros weist.  Zwanzig Minuten lang geht es bergauf, zunächst an einer mächtigen Kaserne - natürlich mit ebensolcher türkischer Flagge - vorbei und zuletzt auf einem schmalen Steig. Aus dem 13.Jahrhundert stammt das Gemäuer und steht dort, wo einst ein griechischer Zeus-Tempel war. Allein, es ist verschlossen. Auf der Wiese daneben packen einheimische Familien ihr Picknick aus, und der Ausblick entschädigt fürs Schwitzen: Links der Bosporus und dahinter, endlich, nichts als Wasser: das Schwarze Meer. Genau an dieser Nahtstelle ragen beiderseits der Einfahrt zur Meeresenge die Tragwerke der neuen, dritten Bosporus-Brücke auf.

 

Nur die Brücke selbst fehlt noch. 1,3 Kilometer soll sie lang werden und 3,5 Milliarden Euro kosten. Umweltschützer kritisieren, dass für sie jede Menge Wälder geopfert wurden. Und benannt wird sie nach Sultan Selim I., dessen Sohn für die erste Wiener Türkenbelagerung verantwortlich war.


Für uns Ausflügler ist das natürlich der ideale Platz für Erinnerungsbilder vom 200 Meter über dem Meer liegenden Höhepunkt des Tages. Keine Sorge, es bleibt Zeit genug, um unten, am Hafen einen frisch gefangenen Fisch zu verzehren und durchs Gewühl zwischen Eisdielen und Luftballonverkäufern zur „Kadiköy“ zurückzuschlendern.

 

Die Rückfahrt am Nachmittag scheint dann mehr der Kontemplation gewidmet. Um nicht zu sagen, dem Mittagsschläfchen. Plötzlich Aufruhr. Fotoapparate wieder raus. Ein ansehnliches Kriegsschiff unter russischer Flagge, die „Moskau“, braust mit eindrucksvollen Raketen-Rohren an uns vorbei Richtung Schwarzes Meer. Dann kehrt wieder Ruhe ein. Die Reise zurück nach Istanbul ist übrigens um zehn Minuten kürzer als jene vom Vormittag. Denn das Schwarze Meer hat dank seiner vielen Zuflüsse einen höheren Wasserstand als das Mittelmeer, was an der Oberfläche eine beständige Nord-Süd-Strömung von etwa 5 km/h ergibt.

 

Und die macht sich jetzt zwar bemerkbar, allerdings ohne von den meisten bemerkt zu werden. Denn im Magen und an Bildern gesättigt, kreisen die Gespräche der Reisenden längst eher um die Zufriedenheit mit der Unterkunft in Istanbul und um Schul-Probleme der Kinder daheim in Gelsenkirchen.