Keine Frage: Für klassischen Rundreise-Tourismus bietet Weißrussland nicht gerade ideale Voraussetzungen. Aber doch einige Ziele...

An der Stalin Linie

Bretteleben ist Belarus, überwiegend von Ackerland und großen Mischwäldern bedeckt und -vor allem - riesengroß Alleine zwischen der polnischen Grenze bei Brest und der Hauptstadt Minsk in der Mitte sind es rund 350 Kilometer. Dies übrigens auf äußerst gepflegten Straßen. Es ist ja auch die Hauptverkehrsader nach Moskau. Und sie bietet einige Überraschungen, etwa Busstationen an der Autobahn - oder auch Zebrastreifen. Artig bleiben die in endloser Kolonne daherschießenden Fernlaster stehen, wenn sich ein Fußgänger der Fahrbahn nähert. Ein guter Tipp, um in Kürze eine Menge dieses großen Landes zu sehen, sind jedenfalls Ausflüge rund um Minsk. Besonders empfehlenswert: eine Fahrt zur Gedenkstätte Chatyn und zum Freilichtmuseum der Stalin-Linie. Dazu kann man Kleinbusse mit Fahrern chartern - oder auch einen Mietwagen nehmen.

 

Wege als Ziele

Sind diese Probleme erledigt, werden schon die Wege ein Teil des Ziels. Minsk ist von mehreren großräumigen Straßen- und Autobahn-Ringen umgeben. Zwischen ihnen durchfährt man kilometerlang unzählige Plattenbau-Siedlungen an den Stadträndern. Die sehen wesentlich besser aus, als es klingt. Zumindest vom Auto besehen. Wie riesige Bauklötze wirken sie, verschiedenfarbig und mit leicht abgewandelten Formen über sanfte Hügel drapiert.


Später tauchen dann in der Ferne Skisprungschanzen auf und frisch aufgeschüttete Hügel mit Liftanlagen, offensichtlich dem Wintersport im ansonsten flachen Land zugedacht. Immer
wieder durchziehen Drainage-Kanäle die Landschaft schier bis zum Horizont, und die kleinen Bauerndörfer bilden einen Kontrast zum gigantomanischen Minsk. Ein kleiner Abstecher in eines der Dörfer sollte Pflicht sein. Zurückhaltung beim Aussteigen, Anschauen und Fotografieren ebenso.

 

Auch die Nebenstraßen sind gut, das Vorankommen ist schnell und der Benzinpreis verführerisch, deutlich unter einem Euro pro Liter (Tipp: Man gehe an Selbstbedienungs-Tankstellen zuerst in den Shop und bezahle dort die gewünschte Menge Treibstoff - die
Zapfsäule schaltet dann automatisch ab).

 

Wenn man schon glaubt, man habe sich verfahren, zweigt unscheinbar mitten im Wald eine kleine Straße nach rechts ab und ein gewaltiger, aus Beton gegossener Schriftzug verkündet die Ankunft in Chatyn (60 km nördlich der Hauptstadt, ca. 1 Stunde Fahrtzeit). Was man sieht, macht einen sprachlos. Hier rottete die SS im Jahr 1943 in einem Racheakt ein ganzes Dorf aus. Heute steht je ein einzelner, im Wind bimmelnder kleiner Glockenturm für jedes vernichtete Haus. Rundherum eine kleine, symbolische Grundmauer. Daneben eine Gedenk-Mauer und ewiges Feuer. Ansonsten: Stille.

 

Dass die UdSSR in den 1960er Jahren Chatyn zum nationalen weißrussischen Gedenkzentrum ausbaute, um damit von der eigenen Ermordung polnischer Soldaten im fast gleichnamigen Dorf Katyn bei Smolensk abzulenken, ist historisch interessant, mehr nicht.

 

Vom Mythos der Rotarmisten

 

Demgegenüber ist ein Besuch im Stalin-Linie-Museum (30 km nordöstlich von Minsk, ca. 1/2 Stunde Fahrtzeit) fast schon erheiternd. An einer Stelle dieser so nie richtig benützten West-
Befestigung der Sowjet-Grenze von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer wurde ein Erlebnispark der besonderen Art eingerichtet. In Reih und Glied steht da eine Unmenge an militärischem Gerät vom Motorrad über die legendären MIG-Düsenjäger bis zu kleineren
Raketen zum Anschauen und teilweise auch Draufklettern. Win Wanderweg führt zwischen Bunkern und Wachtürmen hindurch. Dazwischen knallen immer wieder ein paar Platzpatronen, und ein Panzer dreht mit aufgesessenen Familien seine Demonstrations-
Runden. Ein kleiner Schützengraben-Besuch lockert den Rundgang auf, und auf einer schrägen Wiese mit einigen verstreuten Hütten und einem schrottreifen, alten Moskwitsch werden offenbar gelegentlich Gefechte aufgeführt. Das legt die Freilichttribüne am oberen Ende nahe. Etwas abseits liegt die Werkstatt mit einem kleinen Depot dessen, was offenbar noch zugänglich gemacht werden soll, darunter auch ein deutsches Sturmgeschütz und ein Kübelwagen.

Das legt die Freilichttribüne am oberen Ende nahe. Etwas abseits liegt die Werkstatt mit einem kleinen Depot dessen, was offenbar noch zugänglich gemacht werden soll, darunter auch ein deutsches Sturmgeschütz und ein Kübelwagen.

 

An schönen Tagen sind es Tausende, die sich auf diesem Gelände umtun. Die Atmosphäre ist ungezwungen und freundlich, als ob es sich um irgendein Freilichtmuseum im Umfeld irgendeiner Hauptstadt handeln würde. Nur, dass eben ein kleines Sturmgewehr-Schießen (gegen Aufpreis) am Ende des Rundganges diesen erlebnisreichen Ausflug beschließen kann. Und dass es im Souvenir-Shop Devotionalien der einschlägigen Art gibt, selbstverständlich auch kleine Stalin-Büsten.

Den Reisenden aber zeigt das Stalin-Linie-Museum, dass der weißrussische Nationalmythos vom heldenhaften Partisanen, der sein Land gegen alle Anfeindungen von außen verteidigt,
auch mit touristischen Mitteln am Leben erhalten wird.