Wie es in Myanmar politisch weitergeht, bleibt offen...

 

Unterwegs nach Mandalay: Myanmar erwacht in Ruhe

 

Schafft die Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi die demokratische Wende?

Und werden die Militärs sie gewähren lassen? Und: Soll man ein solches Land mit Touristen-Geld stützen? Das sind Fragen, die man sich vor einer Reise in dieses Land stellt. Hinfahren bringt's trotzdem, denn Myanmar bietet auch neben der Politik genug Interessantes...


Auf dem Markt von Mandalay gibt es alles zu kaufen. Zu den begehrtesten Dingen zählen Kosmetika aller Art und alte, fremdsprachige Zeitungen. Eine Opiumwaage, schön auf alt gemacht, kostet zehn Kugelschreiber, ein Lacoste-Hemd (made in Thailand), eine Flasche Shampoo plus fünf US-Dollar in bar.  Nicht einmal 1.000 US-Dollar pro Kopf und Jahr macht das Bruttosozialprodukt von Myanmar, dem ehemaligen Birma oder Burma aus; das war im Jahr 2011 Rang 154 von 186 souveränen Staaten. Und der Rest zu einem hungerfreien Leben will eben unterhalb der statistischen Oberfläche verdient sein.

"Wenn sie mir etwas schenken wollen, dann kann ich ihnen nur sagen: Das ist bei uns so üblich, wenn einem jemand einen Dienst erweist", sagt der junge Arbeitslose, der sich ungefragt neben den Kutscher des Pferde-Taxis geschwungen hat und beredt auf englisch die Sehenswürdigkeiten abspult:

Pagodenberg, großer, stehender Buddha, Zegyo-Markt...

 

Dort, in den weiten, halbdunklen Hallen, zwischen Körben voll Gewürzen und bunten Stoffballen für die Longyis, die Wickelröcke von Frauen und Männern, hat sich auch das eine oder andere Wahlplakat für Aung San Suu Kyi erhalten.

Im Straßenbild burmesischer Städte prangen sogar die bunten Lokale zahlreicher politischer Parteien, aber deren Vertreter müssen zusehen, wie andere die Politik machen. Vor allem natürlich das Militär, das sich ein Viertel aller Parlaments-Plätze gesichert hat.


Derlei Zwiespältigkeiten gibt es jedenfalls genug in dem 50-Millionen-Einwohner-Land zwischen Thailand, China und Indien, welches an Fläche und Bevölkerung zum obersten Drittel der Welt zählt. Der häufigste Irrtum ist wahrscheinlich immer noch, dass es sich bei diesem Staat um "Burma" handelt.

 

Anderer Name - gleiche Repression

 

Er wurde im Mai 1989 in "Union von Myanma" oder einfach Myanmar umbenannt. Vordergründig deshalb, weil der Name nicht mehr auf der englischen Kolonialsprache basieren sollte. In Wahrheit aber wohl deshalb, weil der Tausch von Etiketten und Bezeichnungen immer schon ein gerne angewendetes Ablenkungsmanöver von den wahren Problemen eines Landes war. Also heißt die Hauptstadt Rangoon nunmehr Yangon, aus dem rebellischen tibetischen Bergvolk der Karen wurden die Kayin und der Irawaddy-Fluss hört jetzt auf Ayeyarwady. Und so weiter.

Und dann rumpelt der Omnibus von "Myanmar Travels & Tours" hinein nach Rangoon/Yangon, überholt unzählige Mopeds und wird von ihnen überholt, immer vorbei an den im tropischen Klima vermodernden Villen der Kolonialzeit. An Bord: eine Tourismus-Betreuerin, die alle möglichen Gutscheine überreicht und in perfektem Deutsch gleich zur Sache kommt: Mollig und quirlig erklärt sie ein paar von Rangoons Sehenswürdigkeiten der anderen Art: So werden die kaum befahrenen Hauptverkehrsadern von monumantalen Fußgängerbrücken überquert.

"Die hat man gebaut, um von oben leichter in Demonstrationen hineinschießen zu können," lautet die einfache Erklärung. Einfach ist auch der Grund, warum Rachel gleich im Bus den ersten Schwarz-Tausch von Dollars in burmesische Kyats abwickelt, denn "erstens kann sich niemand von euch den offiziellen Kurs leisten, und zweitens bin ich derzeit Alleinverdienerin."


"Wir lieben diese Frau," sagt Rachel, "und wir bewundern ihre Standhaftigkeit!" Gemeint ist Aung San Suu Kyi. Ihr Haus außerhalb von Rangoon am Inya-See ist zum Symbol des Widerstandes gegen die Militär-Herrschaft geworden. Und seit die ehedem unter Hausarrest stehende Tochter des Staatsgründers General Aung San sogar im Parlament sitzen darf, auch dessen Hauptquartier.

 

Wer die Macht hat, zeigt sie auch

 

Die Armee begleitet einen durch Burma. Zum Beispiel auf dem Weg nach Mandalay. Die zweitgrößte Stadt des Landes ist das militärische Hauptquartier für den Norden und das heißt offiziell: für den Kampf gegen China, aber inoffiziell: für den Kampf gegen die separatistischen Völker der Karen, der thai-stämmigen Schan und der nach China orientierten Mon, die etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung stellen.

Und schnell wird einem angesichts eines nicht immer funktionierenden Telefon-Netze klar, dass nur eine einzige Macht im Lande über eigenständige, überregionale Kommunikationsmöglichkeiten gebietet: die Armee.

 

In Mandalay hat sie den alten Königspalast mit seinem riesigen, von Wassergraben und Mauern gesicherten rechteckigen Park als Hauptquartier auserkoren. Von dort senden ihre Hoch-Antennen, von dort kurven ihre modernen Mannschaftsfahrzeuge hinaus. Und zugleich erlebt man auch dort die Zwiespältigkeit der Lage. Denn das schwerbewachte Fort mit seinen spärlichen archäologischen Resten ist für Touristen geöffnet, am Militärstand wird einem sogar Zuckerrohrsaft serviert - und zugleich jede Regung argwöhnisch verfolgt.

Die zweite große Macht des Landes, das ist der Buddhismus. "They've an idol made of mud, which they call the great big Buddh!" wertete Rudyard Kipling, einstmals Kolonialpolizist des viktorianischen England, in seiner sprichwörtlich gewordenen Ballade On The Road To Mandalay den Buddhismus zum seltsamen Kult ab. Aber der Buddhismus ist die Geisteshaltung (fast) des ganzen Staates. Es gilt als Ehrenpflicht jedes Gläubigen, wenigstens ein paar Monate mit Bettelschale und Regenschirm zu leben.

Mönche können meist lesen und schreiben; sie ziehen durchs Land; sie führen ihre Klöster autonom; sie bilden ihr eigenes, kleines Informationsnetz...

Und damit stehen auch sie in Konkurrenz zu den Militärs.

 

Wie zum Beispiel in Pagan, einer archäologischen Stätte von Weltrang. Seit 1800 Jahren haben burmesische Herrscher hier an den Ufern des Irawaddy Tempel aller Stilrichtungen als bleibende Zeichen ihrer Epoche aus dem roten Sandstein meißeln lassen.


So wurde das riesige, von etwa 5000 Pagoden beherrschte Areal zum Symbol nationaler Größe und historischer Beständigkeit.

Jetzt, in Zeiten, da der Tourismus Geld ins Land bringen soll, wird alles wieder gehegt und gepflegt. Aber das war nicht immer so.

 

Der Wirt eines chinesischen Lokals erzählt, er hätte bereits drei Mal in seinem Leben alles verloren. Drei Häuser habe er im alten Pagan besessen, mit Zisternen und allem Drum und Dran. Dann, in den 1980er Jahren hätte die Regierung 100 Dollar als Ablöse bezahlt, allein der Abransport der wichtigsten beweglichen Habe hätte die Hälfte davon gekostet. Buddhistische Mönche haben ihm in einem Nachbarort ein Lokal verpachtet und einen bescheidenen Neustart ermöglicht.

 

Und warum geschah das alles?

 

Es gibt drei Versionen, erzählt der Wirt: "Uns hat man gesagt, unter unseren Häusern musste man unbedingt archäologische Grabungen durchführen. Aber das Gelände ist über hundert Quadratkilometer groß und menschenleer. Warum fing man da unter meinem Haus zu graben an? - Dann hat man sich erzählt, dass Präsident General Saw Maung einen Traum gehabt hätte in dem ihm befohlen wurde, eine Stadt zu zerstören, um sein Reich aufbauen zu können..." - Und dann gibt es noch die dritte, einfachste aller Erklärungen: Nämlich, dass in Pagan bei Wahlen besonders viele Oppositions-Stimmen zu verzeichnen waren...

 

Die Jahre zwischen 1988 und 2010 waren in Burma geprägt von oppositionellem Erwachen nach Jahrzehnten zwangsweise verordneter Stille. Der letzte, 1960 demokratisch gewählte Premierminister U Nu hatte, eben erst aus dem Exil in den USA und Indien nach Hause gelassen, eine Gegenregierung gegründet. Als er in seinen Bemühungen scheiterte, zog er sich in ein Kloster zurück. Zu buddhistischen Studien. Aung San Suu Kyi war inzwischen in die Rolle einer burmesischen Indira Gandhi oder Benazir Bhutto geschlüpft.

Ihr Vater, General Aung San hatte seinerzeit die Massen mobilisiert, als er in den Dreißiger Jahren die politische Elite des Landes, das "All Birma Student Movement" gegen die britischen Besatzer anführte. Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten Aung San und seine links stehenden "Dreißig Kameraden" zunächst mit den Japanern zusammen, wechselten im März 1945 die Fronten und zwangen nunmehr an der Seite der Alliierten die Japaner zur Kapitulation.


Im Juli 1947 wird Aung San, gerade 31 Jahre alt, wegen seiner minderheitenfreundlichen Politik erschossen; wenige Monate bevor sein politisches Kind Burma das Licht der Welt erblickt und wenige Monate nach der Geburt seiner jüngsten Tochter Soo Kyi. Sein Denkmal steht noch heute in einem Park von Rangoon. In seiner Nachfolge kam es zu Fraktionskämpfen zwischen den ehemaligen Kameraden. Nu und Ne Win legten sich alsbald den birmanische Beinamen "U" (etwa: "ehrenwerter Herr") zu, und als U Nu mit seiner "Unionspartei" dank der Aufwertung des Buddhismus zur Staatsreligion und einer Autonomie für die Minderheiten die Wahlen 1960 gewann, schlug U Ne Win zurück: In einem unblutigen Staatsstreich entmachtete er 1962 den Rivalen, setzte sich selbst an die Spitze eines "Revolutionsrates" und verkündete 1974 den "burmesischen Weg zum Sozialismus".

 

Aung Sans Witwe, zunächst Botschafterin in Indien, emigrierte kurzfristig nach Großbritannien, wo Suu Kyi Politikwissenschaft studierte und eine Familie gründete, ehe sie 1988 nach Myanmar zurückkehrte und gleich einer Wiedergeburt ihres Vaters zur Integrationsfigur der Opposition wuchs. Legendär ist etwa die Geschichte, als sie an der Spitze einer Demonstration schnurstracks auf eine Militäreinheit zumarschierte, der Kommandeur Schießbefehl gab - und keiner zu schießen wagte. 1989 wurden Aung San Suu Kyi, die führenden Funktionäre ihrer "Nationalen Liga für Demokratie" und der mittlerweile 82-jährige Ex-Premier U Nu unter Hausarrest gestellt und isoliert.

Angebote auf Ausreise wiesen sie alle zurück. Sie wären der Ausbürgerung gleichgekommen.

 

Suu Kyi ist Thema - wannimmer das Gespräch auf Politik kommt

 

Gewiss, es hungerte niemand in Burma, aber nach einer relativ kurzen Aufschwungphase Mitte der Achziger Jahre blieb die Hilfe aus der UdSSR und Osteuropa aus... Nunmehr versucht die Regierung mit einer Annäherung an China, einen Aufschwung herbeizuführen. Investitionen überall. Und, davon profitiert der Reisende, der Tourismus wird als Geldquelle erkannt.

 

Vor diesem Hintergrund wächst in Burma zwar die Hoffnung auf Veränderungen - aber mit buddhistischer Gelassenheit. Und bis etwas geschieht, rauchen Männer wie Frauen gleichermaßen geduldig ihre dicken, aus Zeitungspapier gewickelten, zigarrenähnlichen Cheroots, während die Regierung die Wirtschaftsprobleme durch zaghafte Privatisierung in den Griff zu kriegen hofft.

 

Und tätowierte Mönche ziehen weiterhin scheinbar teilnahmslos durchs Land, auf der Suche nach allem Gedrucktem, das ihnen Ausländer überlassen könnten. Denn mit dem Buddhismus, seit 1961 Staatsreligion, ist das so eine Sache. Wie sagte doch der Wirt in Pagan demütig: "Mein Problem und meine Stärke ist, dass ich Buddhist bin. Manchmal ärgere ich mich, dass ich keinen Gott habe, auf den ich böse sein kann. Manchmal wünsche ich mir einen Gott, den ich um etwas bitten könnte. Aber als Buddhist muss ich die Dinge nehmen, wie sie sind. Und ich weiß ja, dass zuerst das Alte vergehen können muss, damit etwas Neues entstehen kann."