In Santa Clara inszeniert Kuba den Revolutionshelden Che Guevara. Und damit seine eigene Geschichte

 

Gemma Guevara schaun...!

 

Unter den Städten Kubas gilt das gut 200.000-Einwohner zählende Santa Clara, etwa 300 km südöstlich von Havanna in der Mitte der Insel gelegen, nicht gerade als Juwel.

 

Ein Verkehrsknotenpunkt mit einem vergammelten Durchgangsbahnhof, kaum Hochbauten. Langgestreckte Straßen durchziehen die Stadt im Schachbrett-Muster, und zahlreiche Studenten sorgen für ein entsprechendes Nachtleben. Doch Santa Clara hat etwas, das Kuba-Touristen aller Länder anzieht, sogar per Tagestour aus Havanna oder dem Bade-Manhattan Varadero: Santa Clara ist die Che Guevara Stadt Kubas, besser gesagt: sie wurde dazu gemacht.

Die Geschichte beginnt Ende Dezember 1958. Da ließ der hier mit seiner Einheit kämpfende argentinische Arzt und Commandante Ernesto Guevara mit Hilfe eines Caterpillars die Schienen der transkubanischen Eisenbahn-Magistrale Havanna-Santiago herausreißen. Ein ganzer Zug mit militärischem Nachschub für das in den letzten Zuckungen liegende Regime des Diktators Battista entgleiste und fiel den Rebellen in die Hände. Am 1.Dezember 1959 verließ Battista die Insel, und die Rebellen waren an der Macht. Der Rest ist seither Stoff für die Weltgeschichte. Und für Helden-Mythen.

 

Der Stoff, aus dem der Held gemacht wurde


Nachträglich und rein pragmatisch betrachtet, konnte Fidel Castro nichts Besseres passieren als das tragische Schicksal seines alten Freundes, wofür das aus dem argentinischen Dialekt entnommene Wort "Che" steht. Er hatte nun einen innenpolitischen Kritiker weniger und einen meta-nationales revolutionäres Aushängeschild mehr, dessen Ruhm sich mit in einen Hauch von Ewiggültigkeit verwandeln ließ. Diese Chance ließ er sich natürlich nicht entgehen, und Santa Clara schien der geeignete Ort dafür, nicht zuletzt kommt es schon im Lied „Hasta Siempre, Comandante“ vor, in dem sich "ganz Santa Clara erhob, um dich zu sehen".

Das beginnt heute schon an den Stadteinfahrten. Dort stehen in Kuba häufig Beton gewordene Statements zur Gegend in Form von Schriftzügen und Statuen. In Santa Clara ist es allenthalben ein Verweis auf Che.

Einmal in der Stadt, lässt sich das zentrale Che Guevara-Monument leicht finden. Es liegt nahe des südlichen Autobahnrings stadteinwärts und gut 500 Meter südöstlich des Busbahnhofs und ist weithin zu sehen. Auf einem Hügel, umgeben von Parkanlagen liegt die Plaza de la Revolución, ein riesiges Geviert mit steinernem Boden, durchzogen von einer breiten, schwach befahrenen Straße und umrahmt von Flutlichtanlagen. Ein kleiner Rundgang ist ernüchternd. Die Wasserbecken sind leer, der Beton wirkt angewittert, und gleich dahinter beginnt eine Kleinhäuslersiedlung. Müll liegt herum. An der Stirnseite freilich liegt das Zentrum des Interesses von mehr als 100.000 Besuchern pro Jahr: Große Stufen führen hinauf zu mehreren, großen Betonkuben. Der flach liegende linke Quader zeigt Reliefs aus dem Leben des Revolutionärs, der mittlere seinen Abschiedsbrief an Fidel Castro. Er endet mit den Worten "Immer bis zum Sieg! Vaterland oder Tod! Es umarmt Dich mit ganzer revolutionärer Hingabe, Che".

 

Darüber erhebt sich seit 1988 die zum 30. Jahrestag der Schlacht um Sata Clara errichtete, sechs Meter hohe Statue des Bildhauers José Delarra. Das Gesicht ähnelt nur von vorne jenem, wie man es vom berühmten Foto "Guerrillero Heroico" des Alberto Korda kennt: Guevara macht einen Schritt, in der Rechten hält er seine Waffe, die Linke zeigt einen Gipsverband. Guevara hatte sich im Kampf um Santa Clara die Hand gebrochen. Touristen schauen zu ihm auf. Es müssen jährlich hunderttausende Fotos aus dieser Perspektive geschossen werden. Und natürlich kommt das Unvermeidliche: Biedere Reisende posieren mit erhobener Faust als Revolutionäre. Klick, klick machen die Handys und Kameras. Wer Che Guevaras Biografie genauer anschaut, bezweifelt, ob sie alle die von ihm geplante Revolution unbeschadet überstanden hätten.

Um die Ecke, an der Hinterseite des Monuments, liegt der Eingang zu einem kleinen Museum und zum Guevara-Mausoleum. Bei unserem ersten Besuch war es geschlossen. Wegen Regens. Denn der, so hieß es, würde die wertvollen Dokumente gefährden. Ob damit nicht nur das Vorhandensein undichter Stellen in dem Bauwerk vertuscht werden sollte, bleibt ein Verdacht. Der Bau wurde einer Höhle nachempfunden. Von der Wand schauen Vignetten der hier Beigesetzten. Die ewige Flamme entzündete Fidel Castro höchstpersönlich, als die Gruft 1997, nach Überführung der sterblichen Überreste Guevaras und 38 seiner Mitkämpfer aus Bolivien hierher in einem Staatsakt ihrer Bestimmung übergeben wurde. Fotografieren ist streng verboten.

 

Wo der "Che" in die Geschichte einging...


Vom Guevara-Monument führt die Rafael Tristá-Straße kerzengerade ins Stadtzentrum zum sehr schönen, kolonial geprägten Parque Leoncio Vidal. Ein Weg, den man gut zu Fuß zurücklegen kann. Drei Blocks weiter erreicht man den Rio Cubanicay, den man links auf der Independencia überquert. Gleich dahinter befindet sich rechterhand die zweite Che Guevara-Erinnerungsstätte der Stadt, das „Denkmal des gepanzerten Zuges“ (Monumento al Tren Blindado), eine eindrucksvolle Auf- und Ausstellung von vier Original-Waggons jenes Zuges, den die Revolutionäre am 29.Dezember 1958 an dieser Stelle entgleisen ließen.

 

In zwei der Waggons gibt es Ausrüstungsstücke, Waffen und eine Dokumentation zu sehen. Sogar der original Bulldozer der Rebellen wurde restauriert. Und eine ebenfalls von José Delarra geschaffene Beton-Skulptur steht für die Explosion beim Überfall. Das ist Zeitgeschichte pur. Und gleich nebenan eine der damals wie heute wichtigsten Bahnverbindungen Kubas. Eingleisig. Mit Dieselbetrieb.

Von dort sind es dann nur mehr ein paar Schritte weiter zum Gebäude des Provinz-Komitees der Kommunistischen Partei Kubas und damit zur dritten Guevara-Erinnerungsstätte, der davor postierten Statue "Che mit dem Kind der Revolution". Was auf den ersten Blick wie eine einfache, weitere Replik des mit forschem Blick in die Zukunft schreitenden Revolutionärs aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung als Vexierbild.

 

An allen möglichen Stellen wurden teilweise winzige Anspielungen auf Guevaras Biografie untergebracht. Der mit dem Motorrad fahrende junge Reisende Guevara fährt über seinen eigenen Stiefelschaft, als Commandante in der Sierra Maestra reitet er über seine Brusttasche und aus der Gürtelschnalle marschiert eine Einheit von Revolutionären heraus.

Der Blick wandert auf die andere Straßenseite, wo in einem Laden die in Kuba üblichen Souvenirs angeboten werden.

 

Che-Zigarrenbehälter, Che-Flaschenöffner, Che-Postkarten und natürlich Unmengen von T-Shirts. Immerhin eines sucht man vergebens. Kleine Che-Guevara-Statuen für den revolutionären Herrgottswinkel. Die muss man schon in natura anschauen kommen.