Ein Besuch in der Cinecittà von Rom bietet weniger Inszeniertes, als in anderen Filmstudios. Dafür umso mehr Authentizität. Denn diese Filmstadt lebt.

Die kleine Traumfabrik

Im Print gekürzt erschienen in den

Salzburger Nachrichten

 

Das Wichtigste zuerst: Wer Cinecittà, die berühmte Filmstadt am Rande Roms sehen will, sollte keinen Erlebnispark erwarten. Showeinlagen und Inszenierungen à la Universal Studios in Los Angeles oder Bavaria Filmstadt in München gibt es hier nicht. Die Visite ähnelt eher einem Betriebsbesuch, einem für populärkulturell Interessierte lohnenswerten freilich. Mehr als 3.000 hier gedrehte Streifen und 47 von hier aus gewonnene Oscars zwischen Ben Hur (1959) und Der englische Patient, (1997) sind Visitenkarten für sich.

Die Sehens-Würdigkeit beginnt schon bei der Architektur. Sachlicher geht’s nicht. Kein Wunder, bei dem Geburtsjahr: 1937 eröffnete Benito Mussolini nach nur einem Jahr Bauzeit das 40 Hektar große Gelände mit dem Ziel, das Medium Film in den Dienst des Faschismus zu stellen. So schauen Eingangs- und Verwaltungsgebäude auch aus. Ein wenig nach Zentralbüro für kreative Angelegenheiten. Mussolinis Sohn Vittorio gründete zugleich eine nationale Produktionsfirma, und beschäftigte die jungen Antonionis, Fellinis und Rosselinis, ehe Cinecittà im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurde und danach als zentrales Camp der US-Militärverwaltung für Flüchtlinge und Vertriebene diente.

Man kann die schlichte Formensprache heute, in demokratischen Zeiten, natürlich auch anders lesen. Nichts an den orange-gelben Kuben rund um ein Rasenquadrat soll die Kreativität ablenken. Dass man entlang der Kieswege ein paar klassizistische Statuen platziert hat und einem aus dem Rasen der Riesenkopf jener Venusia entgegenstarrt, die Fellini in seinem Casanova im venezianischen Brackwasser versinken ließ, wirkt fast schon geschmäcklerisch. Überhaupt: Federico Fellini. Irgendwie der Genius loci hier. So fasziniert war er von Cinecittà, dass er sich in einem Seitengebäude eine Wohnung einrichten ließ. Heute ist dort ein Museum zu seiner Person und zur Entwicklung der Filmstadt untergebracht.

Im Hauptgebäude läuft eine zweite Schau. Sie dokumentiert jene Leinwand-Genres, zu denen in Cinecittá Beiträge geliefert wurden – und die Beiträge selbst. Sie ist detailreich und liebevoll gemacht, vor allem, was das cineastische Kunsthandwerk angeht, vom Masken- und Kostümbilden bis zum Vertonen und zum  Film-Musizieren. Eine Dolce Vita-Ecke gibt es natürlich auch, mit dem dekolletierten Kleid von Anita Ekberg und jener Vespa, auf der Marcello Mastroianni durch Rom kurvte. Sofern er das auch wirklich tat. Denn nicht nur das Dolce Vita-Rom sondern auch jenes aus Roma und überhaupt die meisten seiner Schauplätze ließ der Regie-Großmeister in Wirklichkeit hinten, im Studio 5 von Cinecittá bauen. Geradezu Ehrensache ist ein Mini-Kino im Westernstil als Hommage an all die Sergio Leones und Corbuccis mit ihren Italo-Western der 1960er und 70er Jahre. Am Ende geht man durch die U-571, die Dekoration des gleichnamigen Kriegsfilms aus dem Jahr 2000.

Die Spaghetti-Western-Ära war auch die letzte große Blütezeit der italienischen Filmstadt. Davor lagen jene des italienische Neoverismo und jene der ausgehenden 1950er Jahre, als Stars wie Peter Ustinov, Audrey Hepburn und Elizabeth Taylor für Streifen wie Quo Vadis, Ein Herz und eine Krone oder Kleopatra zuhauf ins "Hollywood am Tiber" anreisten und tausende Statisten das Gelände bevölkerten. Dazwischen war es immer wieder ruhig in der Fabbrica dei Sogni, der Fabrik der Träume, wie Fellini die Filmstadt nannte: "Für mich ist es der ideale Ort, die kosmische Leere vor dem großen Knall."

Die Spaghetti-Western-Ära war auch die letzte große Blütezeit der italienischen Filmstadt. Davor lagen jene des italienische Neoverismo und jene der ausgehenden 1950er Jahre, als Stars wie Peter Ustinov, Audrey Hepburn und Elizabeth Taylor für Streifen wie Quo Vadis, Ein Herz und eine Krone oder Kleopatra zuhauf ins "Hollywood am Tiber" anreisten und tausende Statisten das Gelände bevölkerten. Dazwischen war es immer wieder ruhig in der Fabbrica dei Sogni, der Fabrik der Träume, wie Fellini die Filmstadt nannte: "Für mich ist es der ideale Ort, die kosmische Leere vor dem großen Knall."

 

Eine Wanderung durch lauter Filme

 

Ruhig ist es auch heute wieder, als uns Franca, die Führerin, in Empfang nimmt. Nur eine Handvoll Interessierter hat sich an diesem Wochentag-Nachmittag zum Rundgang durch das Studiogelände eingefunden. Zwischen Werkstätten und Betriebsgebäuden hindurch geht es zum "Teatro No 5", dem Parade-Studio. 80 Meter lang, 35 Meter breit und 15 Meter hoch. Eine Hälfte kann man für Strand- und Meeres-Szenen unter Wasser setzen. Einziger Nachteil: Wir dürfen nicht hinein. "Es wird gedreht", bedauert Franca und muss ihre Geschichten von der da drinnen nachgebauten Via Veneto für Dolce Vita und von Modell-Schiffen, die dann im Film wie Ozeanriesen wirkten, sozusagen im Trockendock erzählen: "Schade, dass Sie nicht am Vormittag hier waren, da konnten wir das Studio besichtigen."

Hundert Meter weiter hinten liegt eine Western-Stadt, Typus New Mexico, inklusive sandstein-brauner Kirche mit spanisch inspiriertem Glockenturm. Die Klopf-Probe macht sicher: alles auf Holzplatten aufgepinselt. Franca erzählt, wie die Bauwerke immer leicht abgeändert werden, um in verschiedenen Einstellungen unterschiedliche Schauplätze zu simulieren.

 

"Bitte nicht fotografieren!", heißt es dann wenige Schritte weiter: Außen stehen Stahlgerüste, und im Inneren befinden wir uns im Jerusalem der Passion Christi, des Mel-Gibson-Films von 2004.

 

Derzeit wird eine TV-Serie hier gedreht, deren Ausstrahlung noch bevorsteht. Daher die Geheimhaltung. Dann der wohl berühmteste Drehort jüngeren Datums: Der Hafen von New York aus Martin Scorceses Gangs of New York. Es ist, auf gut österreichisch gesagt, eine Gstättn. 2002 freilich schwammen in der seichten Betonwanne Segelschiff-Attrappen, und davor lieferte man sich Straßenschlachten. Heute wirken die Hausfassaden rundherum, als hätte sie seit damals niemand mehr benützt.

Dahinter ragt eine Betonwand auf. Die ließ Scorcese damals blau anmalen und spielte dann im Studio verschiedene Himmel drauf. Aber auch als Basislager im Himalaya diente die kahle Fläche bereits, wie Franca anhand von Fotos belegt. Da wurden eben bunte Zelte hier aufgeschlagen und der Mount Everest auf den Beton hinten draufgerechnet.

 

Träume von damals - und die Reality von heute


Der einstündige Rundgang endet zwischen Tempeln, noch mehr Tempeln und antiken Gassen dazwischen. Rom. So lautete auch der schlichte Titel jener weltweit verbreiteten, 22-teiligen TV-Serie, die vor zehn Jahren hier gedreht wurde und zur Zeit Cäsars spielte.

Auf dem Rückweg bleibt Zeit für Fragen. Die Studios seien heute großteils privatisiert, erzählt Franca, man produziere vor allem für das Fernsehen, unter anderem Grande Fratello, den immer noch am Leben befindlichen italienischen Big Brother-Ableger, und in Ouarzazate, Marokko, betreibe die Cinecittà-Holding ein Studio für exotische Außenaufnahmen. Schließlich bevorzugen heutige Regisseure Originalschauplätze - und billigere Drehorte.

Oben, auf der Rückseite von "Teatro No 5" steht übrigens immer noch New York Gas Works aufgemalt. Schließlich brauchte Leonardo DiCaprio auch einen glaubwürdigen Hintergrund, wenn er vor bald fünfzehn Jahren hier von Bord ging. Manche der in Cinecittà fabrizierten Träume sind eben doch von Dauer.