1 Wochenende, 1 Fünftausender und 500 Euro...

 

Kasbek: Im Angesicht des Fünftausenders

 

Nein, zum Nachmachen ist diese Tour nicht gedacht. Und es hat sie auch nicht gegeben. Vielmehr soll diese Montage aus - sehr wohl stattgefundenen - Einzelteilen, zeigen, was alles möglich ist, im globalisierten Tourismus, nämlich: Am Wochenende einen 5000 Meter hohen Berg zu besichtigen und am Montag wieder daheim an der Arbeit zu sein. Und das zum Preis eines normalen Wochenend-Ausfluges.


Das Ziel: Der 5.042 Meter hohe Kasbek, ein erloschener Vulkan an der georgisch-russischen Grenze im östlichen Kaukasus. Ja, genau der, auf dem 2014 zwei österreichische Alpinisten tragisch ums Leben gekommen sind.


Bei der Anreise heißt es, früh zu buchen - und hart zu sich selbst sein. Flüge zwischen Wien und Tiflis offerieren die Suchmaschinen nämlich bereits um die 200 Euro, vorausgesetzt man reserviert etwa drei Monate im Vorhinein und schlägt sich die Nächte um die Ohren. Wir nehmen die Variante über Kiew um 190,- Euro. Abflug: Freitag, 11:10 Uhr, Ankunft: 23:30. Beim Hotel bescheiden wir uns mit zwei Sternen, wir werden es schließlich kaum brauchen. Nur zentral muss es sein, macht per Buchungs-Webseite ca. 70,- Euro, wohlgemerkt für zwei Nächte.

Im Treck der Kleinbusse nach Norden

 

Am Samstag heißt es früh aufstehen. Uns rufen schließlich keine die Tifliser Sehenswürdigkeit, sondern vielmehr der Kaukasus. Um 8 Uhr ist Treffpunkt beim Tourismusbüro am Freiheitsplatz mit seiner vergoldeten Statue des Heiligen Georg. Während der Kleinbus Richtung Norden aus der Stadt rollt, ergeben sich immerhin ein paar Blicke auf die Selbstverwirklichungs-Architektur der letzten georgischen Machthaber. Von der alles beherrschenden Kathedrale des Milliardärs und Ex-Regierungschefs Iwanischwili über die Friedensbrücke aus der Ära Sakaschwili, die sich wie ein Gürteltier über den Kura-Fluss streckt, bis zu dem wie aus Dominosteinen aufgetürmten, ehemaligen Verkehrsministerium aus der Sowjetzeit.

 

Jetzt sei eine Bank drinnen, erzählt Guram, unser schnauzbärtiger Begleiter, abwechselnd russisch, englisch und deutsch. Letzteres habe er als Bauingenieur bei Kraftwerksprojekten deutscher Firmen gelernt, erzählt er, aber damit sei es jetzt vorbei. Also hat es den schmächtigen Mittsechziger mit der wagemutigen Baseball-Kappe in den Tourismus verschlagen.

 

Nach etwa einer Stunde steigt die Straße hinauf zur Krone des Tsinvali-Staudammes, von wo Tiflis mit Energie und Trinkwasser versorgt wird. Beim ersten Stopp an der Festung von Ananuri geht unser selbstgefälliges Gefühl flöten, hier eine touristische Pionierleistung zu vollbringen. Auf dem Parkplatz drängen sich bereits die Mini-Busse und deren Mitfahrer, kirchliche Reisegruppen unter Leitung ihres Popen inklusive.

Die beiden ummauerten Kirchen aus dem 17.Jahrhundert markieren die Einfahrt zur Georgischen Heerstraße quer durch den Kaukasus. Und die in Rekordzeit zu bezwingen, hat sich unser Fahrer offenbar heute vorgenommen, wenn er mit 80 Sachen die Serpentinen hinaufbraust. Immer karger wird die Landschaft, alpine Matten beiderseits der vom Aragwi-Fluss hunderte Meter tief aus dem Gebirge gefressenen Täler und dann, plötzlich, ein echtes Ski-Gebiet: Gudauri war eine alte Poststation, seit den 1980er Jahren wurde es für den Wintersport ausgebaut. „2.200m“ steht triumphierend groß auf einem der Hotels geschrieben. Wikipedia weiß überdies von acht Pisten mit 19 Kilometern Länge sowie von „fünf Sesselliften österreichischer Fabrikation“ und dass sich der Ort „einen Namen für Heliskiing gemacht“ habe.

 

Georgisch-russische Freundschaft war einmal...


Weiter bergauf, ein paar Ausweichmanöver zwischen Kühen hindurch, dann erreichen wir das monumentale Denkmal der russisch-georgischen Freundschaft, ein riesiges Beton-Rundpanorama mit überlebensgroßen, allegorischen Mosaiken, und schließlich den 2379m hohen Kreuzpass. Am Straßenrand werden Honig und Fellmützen feilgeboten. Auf der anderen Seite ein weiterer Stopp. Mächtige, gewaltige, rostfarbene Sinterterrassen ziehen sich hier den Berghang herab. Die Straße wird schlechter, wir rumpeln durch einige fast menschenleere Dörfer. „Hier haben früher Osseten gewohnt“, erklärt Guram auf Nachfrage. Mehr sagt er nicht.

Die Polizeistationen freilich sind nagelneu. Schließlich geht es hinein nach Stepansminda, ein 1.800-Einwohner-Städtchen am Eingang der 500 Meter tiefen Daral-Schlucht, die hinüber nach Russland, genauer: nach Nord-Ossetien, führt. Von oben, auf fast 2.200 Metern Höhe, schaut die Zminda Sameba, die Dreifaltigkeitskirche herunter. Und zu der wollen wir jetzt, nach rund drei Stunden und 150km Fahrt, hinauf, Kasbek schauen.

 

Es heißt umsteigen. In hochgestellte Mini-Busse mit Allradantrieb. Ein eingespielter Vorgang. Wir sind nicht die ersten, die unser Fahrer heute in Schrittgeschwindigkeit über Stock, Stein und Auswaschungen die sechs Kilometer nach oben schaukelt, und wir werden auch nicht die letzten sein. Warum die Fahrzeuge rechts gelenkt sind? „Direktimporte aus Japan“, erklärt Guram, das käme den Kleinunternehmern hier billiger.

Heute dauert die halbstündige Hoschaubahnfahrt im Schneckentempo zehn Minuten länger, weil uns ein alter VW-Golf entgegenkommt. Ausgerechnet in einer engen Serpentine.

Der Fahrer flucht.

 

Dann geht es aus dem Wald hinaus, und auf einer flachen Kuppe, inmitten von Wiesen, liegt die Wallfahrtskirche da. Ihr Besuch ist Nebensache, denn alle wollen nur ihn sehen, den Fünftausender an der russischen Grenze. Aber der Kasbek liegt hinter den Wolken. Noch.

 

Wer Glück hat, sieht den Berg - wer Pech hat muss wiederkommen

 

„Wir werden heute Glück haben“, beruhigt Guram, und wirklich, wenige Minuten macht ein Windstoß für kurze Zeit den Gipfel des erloschenen Vulkans frei. Genau in der Mitte zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem See liegt er, und der Sage nach soll er jener Berg sein, an den Prometheus gekettet war. Schweigen. Aufschauen. Fotografieren. Nachdenken. Und da war doch noch etwas. Ach ja, Hunger. Immerhin ist es längst Mittag.

Guram führt uns zum georgischen Gastmahl, das Bestandteil des 45-Euro-Ausflugspakets ist. Es findet in einem Privathaus statt, und die Gastgeberin fährt alles auf, was einem als typisch georgisch empfohlen wurde, von den Chinkali genannten Teigtaschen bis zum, Tschanachi genannten, Hammeleintopf mit Melanzani. Guram macht den Tamada, den Tischmeister, der das Tempo vorgibt und zwischen den Gängen Trinksprüche ausbringt. Wir tun es ihm gleich und „Völkerfreundschaft“ ist dabei das wohl meistgebrauchte Wort.

 

Touristische Fiktion und Reise-Realität


Die zahlreichen russischen Autos, die hier, im Grenzgebiet unterwegs sind, legen den Schluss nahe, dass die Völkerfreundschaft bei den einfachen Leuten weniger Probleme macht, als unter Politikern. Aber das sind schon eher Gedanken für die Heimfahrt.

 

Abends bleibt sogar noch Zeit für einen Spaziergang durch Alt-Tiflis. Auch um Bilanz zu ziehen. Wenn wir morgen nachmittag wieder aus dem Billig-Flieger steigen, werden wir in drei Tagen 5.000 Kilometer in der Luft und 300 überland zurückgelegt haben. Wir werden am Samstag einen 5.000 Meter hohen Berg besichtigt haben, und das Ganze wird knapp über 300,- Euro gekostet haben. Zum Vergleich: Eine Bahnfahrt Wien-Bregenz und zurück kostet 150,-. Und es wird uns auch der Schädel brummen, vor lauter Unterwegs-Sein.

 

Aber, wie gesagt, zum Nachmachen ist das Gedanken-Experiment einer solchen (Tor-)Tour ohnedies nicht gedacht. Es wäre viel zu schade um all das, was Georgien sonst noch zu bieten hat.